Als Herlinghausen vergessen wurde

Als Herlinghausen vergessen wurde
175 Jahre Evangelischer Kirchenkreis: Pfarrer Reinhard Schreiner erklärt, welcheBedeutung die Gründung hat – und warum Höxter bis heute noch eine Besonderheit darstellt
VON AMINA VIETH, Neue Westfälische vom 21.10.2015

Höxter. Der 21. Oktober 1840 ist ein wichtiges Datum für die Protestanten im Hochstift, denn an diesem Tag ist der Evangelische Kirchenkreis im Hochstift gegründet worden. Die evangelischen Gemeinden in den heutigen Kreisen Paderborn und Höxter sowie in der Stadt Lügde waren somit nicht weiter dem Kirchenkreis Bielefeld zugeordnet und konnten sich eigenständig weiterentwickeln. „Es war die richtige Entscheidung zur richtigen Zeit“, sagt Pfarrer Reinhard Schreiner. Er erklärt, warum diese Entwicklung notwendig geworden war – und welche besondere Rolle Höxter dabei spielte.

Das Hochstift ist heute weitgehend katholisch geprägt. 17 Gemeinden mit insgesamt 82.000 Mitgliedern gehören der Evangelischen Kirche an. Doch zur Zeit der Reformation zwischen 1550 und 1600 war ein Großteil des Hochstifts evangelisch, erklärt Schreiner. Erst mit der Gegenreformation um 1600 unter Dietrich von Fürstenberg, Fürstbischof von Paderborn, wurde der Katholizismus wieder eingeführt. „200 Jahre lang war das Hochstift hauptsächlich katholisch. Es gab kaum nennenswerte evangelische Gemeinden“, so Schreiner.

Ausnahmen bildeten aber Höxter, Bruchhausen und Amelunxen. Im Gegensatz zu den übrigen Ortschaften waren diese Drei evangelisch geprägt und gehörten nicht zum Fürstbistum Paderborn, sondern zur Fürstabtei Corvey. „Und sie konnten evangelisch bleiben, weil der Fürstbischof von Paderborn da keine Landesherrschaft hatte. Die Äbte von Corvey haben den Protestantismus zeitweise toleriert“, sagt Schreiner.

In Höxter habe es schon damals eine starke evangelische Gemeinde gegeben. In den umliegenden Ortschaften des heutigen Kreises Höxter habe es nur vereinzelt Protestanten gegeben. Diese wurden zum großen Teil von den protestantischen Gemeinden Bruchhausen und Amelunxen mitbetreut. „Die Gemeindemitglieder aus Bruchhausen sind beispielsweise nach Brakel und Steinheim gepilgert, um dort die Gottesdienste zu betreuen. Sie brachten den Protestanten dort die Kirchenlieder bei.“

Als dann die Preußen nach Westfalen kamen, erhielt der Protestantismus einen Aufschwung. „Viele preußische Beamte und Militärs kamen her, sie waren evangelisch und mussten betreut werden.“ Es ergab sich eine zunehmende Diaspora-Situation. Grundsätzlich seien die evangelischen Gemeinden in der Region von Bielefeld mit betreut worden. „Aber die große Entfernung war sehr hinderlich.“ Also entschloss man sich, einen Kirchenkreis für Paderborn und Höxter zu gründen. „Da Höxter die älteste evangelische Gemeinde ist, ist der Kirchenkreis 1840 hier gegründet worden“, erklärt Schreiner.

Höxter als älteste evangelische Gemeinde fehlt im Namen

Doch im Namen des Kirchenkreises fehlt der Stadtname, so heißt er nur Kirchenkreis Paderborn. „Das war von Anfang so. Man hat sich wohl nur für die Nennung Paderborns entschieden, weil es die größere Stadt ist“, mutmaßt Pfarrer Reinhard Schreiner.

Bloß eine Gemeinde wurde bei der Gründung des neuen Kirchenkreises vergessen: Herlinghausen. Bis 1597 habe Herlinghausen zu den Landgrafen von Hessen gehört, wodurch der Ort evangelisch geprägt worden war. Als Herlinghausen dann Paderborn übertragen wurde, blieb es weiter evangelisch. „Es war eine Randexistenz und wurde von Hessen aus mitbetreut“, sagt Schreiner. Aufgrund der Orientierung nach Hessen hin ist Herlinghausen bei der Kirchenkreisgründung schlichtweg übersehen worden. „Als mal ein Superintendent nach Warburg kam, stellte er fest, dass er in Herlinghausen auch noch eine Gemeinde hat.“ Diese sei dann nachträglich noch in den Evangelischen Kirchenkreis Paderborn aufgenommen worden.

Für den Protestantismus bedeutete die Einführung des neuen Kirchenkreises nicht nur Eigenständigkeit und eine bessere Überschaubarkeit, sondern auch ein großes Wachstum. „Nach und nach haben sich immer mehr neue evangelische Gemeinden gegründet, und neue Kirchen wurden gebaut.“ Vor allem die Flüchtlingsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg habe nochmals einen großen Zuwachs gebracht, so Schreiner.

Die Zahlen der Gemeindemitglieder seien aber mittlerweile – ebenso wie bei den Katholiken – rückläufig, „aber wir haben eine solide Grundlage hier“. Während der Großteil der umliegenden Dörfer Höxters katholisch geprägt ist, bilde die Kernstadt auch heute noch eine Ausnahme. „Hier halten sich katholisch und evangelisch die Waage.“

Bis 1970 etwa habe es auch noch Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen Gemeindemitgliedern gegeben. Es sei sehr genau darauf geachtet worden, wer welcher Konfession angehörte. „Das ging so weit, dass die Protestanten nur beim evangelischen Metzger und die Katholiken nur beim katholischen Metzger eingekauft und sich evangelische und katholische Kinder auf den Schulhöfen geprügelt haben“, sagt Schreiner.

Ein Generationswechsel bei den katholischen und evangelischen Pfarrern um 1970 habe ein Umdenken gefördert. „Sie hatten die Ökumene im Blut und näherten sich an.“ Seitdem werde die Ökumene in Höxter immer größer und stärker. Der Höhepunkt sei der Ökumenische Kirchentag 2013 gewesen.